Ich war 15 als ein betrunkener Typ mir diese zwei Sätze an den Kopf warf.
Wie sehr mich dieser Moment geprägt hat, habe ich erst 25 Jahre später realisiert.
Aber von vorne...
Es ist das Jahr 1999, es ist die Vorabiparty meines damaligen Freundes in einer Kleinstadt in NRW. Ich bin angetrunken, fühle mich lebendig. Der Alkohol betäubt das dauerpräsente Gefühl von Unsicherheit das mich die ganze Pubertät und Jugend begleitet. Heute geht´s mir gut. Ich trage mein Lieblingsoutfit (Enge Jeans mit Schlag, Bauchfrei-t-shirt und meine Adidas-Turnschuhe), stelle mal nicht alles infrage und gehe mit dem Flow. Im Festzelt legt der DJ das Lied des Jahres auf: "L´Amour Toujours" von Gigi D´Agostino. Die Menge feiert im Stroboskop-Licht ab, das kollektive Gefühl von Leichtigkeit und Unsterblichkeit. Aus einer Laune heraus klettere ich auf eine Bassbox in meiner Nähe. Ich genieße den Blick über die ausflippende Menschenmenge, tanze, schließe immer wieder die Augen, speichere den Moment und das Gefühl von Glück in mir ab.
Ein Typ tippt mir ans Bein, ich beuge mich zu ihm runter und er schreit mir ins Ohr: "Komm da mal lieber runter. Sieht scheiße aus wie du tanzt!".
Schock.
Scham und Ohnmacht durchfluten mich. Ich springe von der Box und bahne mir den Weg zu den Toiletten. Nur weg hier.
Mein Fehler. Ich habe meine Grenzen überschritten. Wie kann ich auch nur glauben, dass ich (die gar nicht tanzen kann) einfach auf einer Box tanzen könnte? Wie bin ich nur auf diese absurde Idee gekommen? Wie peinlich. Wer von den Menschen, mit denen ich heute Abend unterwegs bin, hat es gesehen? Und mein Freund? Schämt der sich jetzt für mich? Habe ich ihn überhaupt verdient? Auf Boxen tanzen ja nur Menschen, die sich richtig toll bewegen können und die viel besser aussehen als ich. Wie sehe ich eigentlich aus in diesem langweiligen Outfit? Meine Haare sind ein einziges Wirrwarr! Und schminken kann ich mich auch überhaupt nicht....
Zeitsprung: Eine Frühlingsnacht 2024. Nach zwei Getränken in einer Kneipe ziehen Robert und ich zum Tanzen in einen Club weiter. Wir checken die Musik in den unterschiedlichen Räumen und bleiben auf der Tanzfläche bei den "All-time-Favorites" hängen.
Ich tanze seit über einer Stunde neben einem Typen mit Goldkettchen, der mir immer wieder meinen Platz streitig macht. Ich habe richtig Lust zu tanzen und bin gleichzeitig etwas genervt. Irgendwann sagt Robert: "Tanz doch einfach auf der Bank an der Wand da. Da gibts genug Platz!"
Bäm! Ich bin schlagartig wieder 15 Jahre alt, habe das Gefühl nicht tanzen zu können und schon gar nicht auf irgendeiner Art von Erhöhung. Ich spüre Angst, Enge und Bedrohung in meinem Körper.
Ich schließe die Augen, atme tief durch und hole mich in das Jetzt zurück.
Ich bin nicht 15, sondern 39, darf tun was ich möchte und ich kann und will tanzen! Und dann klettere ich auf die Bank, schaue auf die feiernden Menschen und gebe mich mit meinem ganzen Körper der Musik hin. Ich bin durchflutet von Freiheit und Glück. Robert steht unter mir, reicht mir ein Glas Wasser und sagt: "Wow. Wie cool du tanzt und wie viel Energie und Freude du dabei ausstrahlst. Mega."
Es ist 6 Uhr, als wir den Club als Letzte verlassen. Beim Döner an der Ecke erzähle ich Robert von meinem Erlebnis vor 25 Jahren und wie sehr mich dieser Moment unbewusst geprägt hat.
Meinen Glaubenssatz, dass ich nicht tanzen kann und schon gar nicht auf einer Box, habe ich nun endgültig hinter mir gelassen. Ich tanze wann, wo und wie ich will und die Freude daran lasse ich mir nie wieder nehmen.