Samstag, 24. Dezember 2022

Sehnsucht nach Veränderung

Ich werde nicht mehr so weiterleben wie bisher. 

Ich spüre Herzrasen wenn ich diesen Satz schreibe. Ich atme ein paar mal tief durch und spüre in mich hinein. (Und mein Kopf sagt mir, dass spätestens hier die Menschen denken: Karin ist wirklich komisch geworden. Danke lieber Kopf. Du bist mir oft wichtig und hilfreich. Und wenn es ums Wahrnehmen geht, darfst du entspannt Pause machen.)

Vor noch einem Jahr hätte ich mein heutiges Ich auch als komisch empfunden. Ich habe das gesellschaftliche "normal" so akzeptiert und verinnerlicht, dass ich mich nicht getraut habe wahrzunehmen und zu spüren. Ich habe mich taub gemacht um mich in dieser Gesellschaft dazugehörig zu fühlen und mitlaufen zu können. Wir sind alle taub und tun so, als wäre es normal, dass Menschen auf der Flucht im Mittelmeer ertrinken, wir lieber Überstunden machen als den Menschen in unserem Umfeld Aufmerksamkeit zu schenken, wir unseren Lebensraum und unsere Lebensgrundlage zerstören, Menschen auf der Straße leben, Kriege (vor unserer Haustür) wüten und wirtschaftlicher Wachstum die wahre Lösung unserer Probleme ist. Und wenn wir endlich die neue Playstation, die Handtasche oder das neue Smartphone haben, werden wir uns bestimmt glücklich fühlen. 

Eine Krise jagt die nächste, die Erde steht in Flammen und wir sorgen uns um Weihnachtsgeschenke. 

Ich habe das stetige Gefühl von "irgendwie ist das alles falsch" mit aller Kraft bekämpft und unterdrückt und mich stattdessen aufs funktionieren konzentriert. Und ich habe mich tief im Innern so einsam, hilflos, leer und traurig gefühlt.
Ich kenne niemanden, der glücklich mit dem Status quo ist. Die meisten Menschen um mich herum sind gestresst, kämpfen mit psychischen Problemen, haben (Existenz-) Sorgen, fühlen sich einsam oder sind auf der frustrierten Suche nach Erfüllung oder dem Sinn des Lebens. Und wir alle versuchen diese innerliche Leere durch materielles zu füllen oder uns mit Alkohol, Drogen oder anderen Dingen zu betäuben und zu vergessen. 

Ich will nicht mehr. 

Ich stabilisiere mit meinem bisherigen Verhalten den Status Quo. Ich bin mitgeschwommen in diesem Strom der Taubheit und habe das "normal" (was mich tief im Innern so leer und traurig macht) akzeptiert. Ich bin in die Opferrolle gegangen und habe oft gesagt oder gedacht: "Ich kann ja nichts ändern" oder "Ist ja normal, machen alle so".

Ich möchte in einer Welt leben (und damit bin ich sicher nicht alleine) in der wir wahrnehmen und fühlen, in der Menschen und nicht Geld oder Dinge das Wichtigste sind, in der wir behutsam und überlegt mit unseren Ressourcen und unserer Lebensgrundlage umgehen und in der Begegnung und Berührung das neue "normal" sind.

Ich fange an. 

Ich nehme wahr und gehe aus der Hilflosigkeit und Ohnmacht der Opferrolle in die Schaffenskraft. Ich schaffe Platz zwischen dem Wahrnehmen und der Interpretation der Wahrnehmung. Ich gehe in wirkliche Begegnung und Berührung und stelle Verbindung durch Fühlen, Zuhören und Präsenz her.

 
Während ich diese Zeilen schreibe, bekomme ich eine Nachricht von einem Freund und ehemaligen Arbeitskollegen von mir:
"Liebe Karin, danke für das schöne Treffen gestern. Was Du getan hast und was Du Dir für viele wünscht, ist etwas, was ich in dieser Art lange nicht mehr gefühlt habe. Es ist ein Gefühl von Nähe, Offenheit, Wärme und Loslassen von Blockaden und ich habe das sehr genossen. Unsere Begegnung hat mich sehr bewegt und bringt mich dazu innerlich vieles neu zuordnen und es in einem neuen Licht zu sehen. Das ist wunderschön." 
Wow. Diese Worte rühren mich an und bewegen mich.
Was ist bei diesem Treffen gestern passiert?
Wir waren gemeinsam Mittagessen und ich habe irgendwann gefragt, ob ich die Hand dieses Menschen halten darf.  Die Antwort: "Klar, kein Problem. Ist ja keine große Sache".
Also habe ich seine Hand gehalten und ihm schweigend in die Augen gesehen. Ich spürte meinen eigenen Herzschlag, meine Angst und Unsicherheit.
Auf der anderen Seite waren plötzlich viele Worte, nervöses durch den Raum schauen, viel aufgeregtes Lachen. Ich bin schweigend geblieben. Habe geschaut, mein Herz geöffnet, wahrgenommen und mich immer mehr im Fühlen entspannt. Und nach ein paar Minuten wurde auch er still, weich, offen. Wir haben uns beide gezeigt, mit dem, was wir sind. Viel intensiver und ehrlicher als wir es in den vergangenen Jahren unserer Freundschaft mit vielen Worten geschafft haben. Ich spüre tiefe Dankbarkeit für diesen Moment. 

Ich bin glücklich und es bestätigt mein Gefühl von "ich, mein Handeln und Sein machen einen Unterschied und ich bin handlungsfähig". Ich kann die Welt verändern, in der ich lebe. Ich kann und werde in Begegnung gehen und den Status Quo infrage stellen. Ich werde jetzt oft die Hand von Menschen halten, mich verletzlich und authentisch zeigen, Menschen statt Dinge lieben und stetig die Welt erschaffen in der ich leben möchte.

Der Weg meiner Entwicklung ist lang und nicht immer einfach. Alles in Frage zu stellen, was ich bisher als richtig/normal eingeschätzt habe, bringt mich oft an meine Grenzen. Ich fühle mich oft auch unverstanden und einsam. Und ich glaube und spüre, dass es sich lohnt sich auf den Weg zu machen. 

Falls Du Dich auf den Weg machen willst, liste ich hier mal ein paar Dinge auf, die für mich auf diesem Weg inspirierend sind. Über die "nicht greifbaren Inspirationen" (z.B. den Tod meines Vaters) schreibe ich bei Gelegenheit mal einen Blogeintrag. 

  • Louise Hay
    Mit Louise Hay ist 2018 eine unglaubliche Kraft für Veränderung in mein Leben gekommen. Ich höre ihre Worte oft in Situationen in der ich mich unsicher fühle, Orientierung brauche oder einsam bin. 

  • Liebe tanzen & Liebe tanzen Festival
    Eine regelmässige Veranstaltung bei der ich tanzend anderen Menschen begegne und mich darin übe meinen Impulsen zu folgen, alte Glaubenssätze aufzulösen und mich lebendig zu fühlen mit allem was da ist

  • Deep Connection
    Meine Lieblingsveranstaltung bei der wundervollen Eliane Hutmacher. Hier übe ich "Nein" sagen, für mich und meine Bedürfnisse zu sorgen, Geben und Nehmen zu genießen und so viel mehr...

  • Ecstatic Dance
    Im Tanz fühle ich mich lebendig - egal ob alleine mit geschlossenen Augen oder in Begegnung mit anderen, ob wild oder sinnlich.. ich liebe es.

  • Buch: Wenn wir wieder wahrnehmen
    Dieses großartige Buch hat u.a. den Anstoß für diesen Blogeintrag gegeben



Und vielleicht schenkt ihr an diesem Weihnachten jemanden eine Berührung, einen Blick oder eure Präsenz.
Ich wünsche euch Mut für besinnliche, zärtliche, authentische und verbindende Tage mit euren Liebsten. 

Donnerstag, 24. November 2022

Nachtzugliebe und Wiedersehensfreude in München

Meine Rückreise von Rom nach München im Nachtzug war wunderbar. Ich hatte ein ganzes Liegewagenabteil für mich und die meiste Zeit der Strecke war ich auch die Einzige im ganzen Waggon. 


Nachts bin ich zwischendurch aufgewacht und hab aus dem Fenster Italien und Österreich am Fenster vorbei ziehen sehen. Frühstück gab es dann mit Blick auf die Alpen gleich hinter der deutschen Grenze.

Schon jetzt ist für mich klar: Nachtzug mache ich nächstes Jahr definitiv wieder. 

In München gab es dann ein zweites Frühstück bei Moni und Volker. Wiedersehen nach 2,5 Jahren. Ausgiebiger Spaziergang in der Sonne an der Isar mit Moni. Gute Gespräche und die Gewissheit: Es gibt viele Menschen, mit denen ich auch nach langer Sendepause wieder genau da weitermachen kann, wo wir aufgehört haben. 


Wein vorm Kamin, eine gute Nacht an einem meiner Lieblingsorte und erfüllt mit großer Dankbarkeit für die vielen Erlebnisse, Begegnungen und Momente der letzten Woche zurück im Zug nach Berlin. 

Luxusleben at it’s best. 😌





Freitag, 18. November 2022

Alle Wege führen nach Rom

Guten Morgen aus Rom!

Ich sitze gemütlich bei einem Kaffee in Fee‘s Küche, höre den Regen draußen prasseln und freue mich entspannt Zeit zum Schreiben zu haben.

Wo fange ich an? Was teile ich hier? 

Wie schon geschrieben, besuche ich hier in Rom meine ehemalige Sportlerin Fee. Sie ist ziemlich genau vor 10 Jahren als 11 Jährige in meine Wettkampfmannschaft gewechselt und ich habe sie über viele Jahre als Trainerin begleitet. 

Es ist verrückt und schön, was wir alles zusammen erlebt haben…. Etliche Trainingslager, Wettkampffahrten, Freizeitaktionen und natürlich das tägliche Training. In den letzten Tagen haben wir häufiger Geschichten aus unserer Erinnerung ausgepackt. „Weißt du noch, wie die Jungs im Trainingslager aus dem Fenster geklettert sind um zu uns ins Mädelszimmer zu kommen? Über den Flur ging’s ja nicht, da hieltest Du Wache.“ 

Ja, weiß ich natürlich noch. Auch wie ich nach einem Wettkampf Pizza für alle gekauft hab und mit den Pizzakartonberg in der Hand fast den Zug verpasst hätte in dem alle Sportler:innen schon saßen.

Ich erinnere mich an vieles aus diesen sehr intensiven 7,5 Jahren in der ich mit jeder Zelle meines Körpers Trainerin war. Große Erlebnisse, kleine Alltagsgeschichten, Erfolge und Enttäuschungen. Es gibt in mir viel Freude und Dankbarkeit für diese Zeit. 


Und es rührt vieles in mir an. Mit meiner heutigen Erfahrung und Sicht auf das Leben wünsche ich, ich hätte Dinge damals anderes gemacht. Heute würde ich die persönliche Entwicklung der Jugendlichen in den Mittelpunkt meiner Handlungen stellen und weniger die sportliche Leistung. Heute könnte ich keine Leistungssporttrainerin mehr sein. Ich hab es damals so gut gemacht wie ich es zu dem Zeitpunkt konnte. Und gut machen und es gut meinen ist nicht immer es richtig machen bzw. den Menschen, mit denen ich bin, das geben was sie brauchen.

Das arbeitet gerade stark in mir, lässt mich viel weinen und braucht in nächster Zeit Reflexion, persönliche Gespräche und Entschuldigungen. 

Danke, Fee. Für die offenen und vertrauten Gespräche, Deine erfrischende Perspektive auf das Leben und die Welt, deine Gastfreundschaft und fürs „von-der-Schwimmerin-zur-Freundin-werden“.

Heute Abend geht es mit dem Nachtzug weiter nach München. Auf Wiedersehen, Italien. 


Dienstag, 15. November 2022

Regen und Genuss

Heute regnet es, aus Eimern, den ganzen Tag. 

Morgens im Flur des Bed & Breakfast treffe ich Rossella meine Gastgeberin. Sie ist mir auf Anhieb sympathisch und obwohl sie kein Englisch oder Deutsch spricht, haben wir eine wunderbare Unterhaltung (mit Händen, Gesichtsausdrücken und Google-Übersetzer).
Sie erzählt, dass sie ursprünglich aus dem Süden Italiens kommt und ich das ja schon gemerkt haben sollte. Ich gucke wohl verwirrt. Sie lacht und sagt: „Hier im Norden sind die Leute immer ernst und niemand lächelt ohne Grund.“ 
Stimmt, hab ich auch schon bemerkt. Immer wenn ich Menschen auf der Straße anlächel, gucken sie irritiert weg, schauen dann schüchtern nochmal rüber und trauen sich erst dann zu lächeln. Rossella zeigt mir Fotos von ihren 3 Katzen und ihrem Mann.

Nach einer Weile sage ich (und zeige pantomimisch), dass ich jetzt mal zur Bäckerei zum Frühstück rüber schwimme. „Nimm einen Schirm mit“, sagt sie. Ich schüttle den Kopf und tippe ihn ihren Google-Übersetzer: „Mit Regenschirm kann ich nicht schwimmen.“ Wir lachen herzhaft und ich gehe los.
Wow, was für eine lebensfrohe und energiegeladene Frau. 
Am Zebrastreifen brettert ein Auto direkt vor mir vorbei. Aus der Pfütze spritzt im hohen Bogen Wasser und meine Strumpfhose ist klitschnass. Eine Frau neben mir regt sich wortgewaltig auf. Ich zucke mit den Schultern und setze meinen Weg mit Vorfreude auf ein Schokocroissant unbeirrt fort.

Beim Bäcker sitze ich auf meinem Beobachtungsposten und trinke Cappuccino. Heute bin ich später dran. Es ist schon die Kaffeezeit der Renter und die Atmosphäre ist ganz anders als gestern. Liegt vielleicht auch am Wetter. Jeder der reinkommt, scheint sich bei der Bedingung über den sinnflutartigen Regen auszulassen. Ich genieße den Singsang der Sprache und stelle fest, dass hier niemand „Kaffee to go“ bestellt. Wer es eilig hat, trinkt seinen Espresso direkt an der Theke. Alle anderen setzen sich und genießen. Kaffee aus Plastikbechern wäre auch eine Beleidigung dieses perfekten Cappuccinos.


Nach einer knappen Stunde gehe ich zurück. Mir ist kalt und ich packe mich für ein zweites Schläfchen mit meiner Wärmflasche (übrigens ein Must-have auf Reisen) ins Bett. Ich lese, schreibe, döse, schaue in den Regen und schlafe immer mal wieder ein. So ein Tag im Bett kommt mir nach der Wanderung gestern ganz gelegen.

Abends treibt mich dann der Hunger wieder aus dem Haus. Wenn meine innere Uhr sagt, dass es Abendessenszeit ist, ist bei den Italienern erst Zeit für einen späten Kaffee oder gerade so schon Zeit für einen Aperitif. Aber auf gar keinen Fall schon richtig essen. Fast alle Restaurants haben um 18 Uhr noch geschlossen. 
Aperitif? Ja, nehme ich. Was für eine wunderbare Erfindung. Passend zum Getränk werden Snacks gereicht (Pizzastückchen, Chips, Oliven, Erdnüsse, usw.). Damit lasse ich es mir gut gehen und bestelle fröhlich eine zweite Runde. 

Ich komme mit einem älteren Paar aus London ins Gespräch. „Wir sind seid 20 Jahren zweimal im Jahr hier“, sagen sie. „Oh, sie müssen diese Gegend wirklich lieben“, erwidere ich. 
„Naja, uns führt mehr eine Verpflichtung hier her. Wir haben an der CinqueTerre ein Ferienhaus und müssen das jetzt winterfest machen. Im März kommen wir dann wieder um es für die Saison vorzubereiten. Das ist wirklich viel Arbeit.“ 
Ich nicke und versuche für mich zu spüren ob ich gerade neidisch oder mitfühlend bin.

Wir sprechen über den Brexit und ich erzähle, dass ich an dem Tag des Referendumsergebnis geweint habe. Das scheint sie zu irritieren. Im weiteren Gespräch wird nicht klar, ob sie für oder gegen den Verbleib in der EU gestimmt haben. 

Wir sprechen über die anstehenden Reisepläne und ich erzähle, dass ich morgen nach Rom weiterfahre und eine Freundin besuche. „Ach nach Rom würden wir auch gerne mal wieder. Da ist es so lebendig. Leider müssen wir Mittwoch nach Süditalien fliegen. Unser zweites Ferienhaus muss ja auch winterfest gemacht werden.“

Wir verabschieden uns, wünschen uns eine gute Zeit und sie ziehen zum Abendessen weiter. Ich bleibe sitzen und spüre nach.
Es ist Mitgefühl was ich spüre, kein Neid. Ich würde nicht mit ihnen tauschen wollen.

Ich zahle am Tresen, schlender klitschnass durch den strömenden Regen, gönne mir zwei Kugeln Eis als Abendessen und bin glücklich. 

Ich freue mich auf das lebendige Rom… 



Montag, 14. November 2022

Begegnungen und Abkürzungen

Gestern hab ich mich gefragt ob ich eigentlich gerade gerne mit jemanden zusammen hier wäre. Die Antwort war sehr klar: Nein. Ich bin gerade sehr glücklich über das „Alleinsein".

Zeit mit vertrauten Menschen gibt mir viel Energie und Freude. Warum ich trotzdem gerne auch alleine unterwegs bin? Weil ich dann viel offener für die Menschen und Begegnungen um mich herum bin und es so viel zu entdecken und erleben gibt. 

Mein Tag startet mit dem Frühstück um 7 Uhr in einer Bäckerei an der Ecke. Während ich Cappuccino trinke und (natürlich) Kuchen esse, beobachte ich das bunte Treiben. Menschen kommen und gehen… Bauarbeiter, Anzugmenschen, Taxifahrer… 
Es gibt ein lustiges Rumreichen der Tageszeitung. Jemand schnappt sie sich, legt sie vor sich auf den Tisch, holt dann das Handy raus und checkt darauf irgendwas. Die nächste Person fragt nach der Zeitung, bekommt sie, legt sie vor sich auf den Tisch und zückt dann das Handy… Das Spiel wiederholt sich in meiner Anwesenheit ca. fünf Mal. Keiner wirft auch nur einen Blick auf die Zeitung. Hab ich irgendwas nicht gecheckt? Geheime Mafia-Machenschaften? Ich schmunzel vergnügt vor mich hin und bekomme so manches Lächeln zurück. 

Am Bahnhof beobachte ich einen Mann der irgendein Problem am Ticketautomat hat. Ich gehe näher ran und biete meine Hilfe an. Das Ticket klemmt im Ausgabefach und meine Finger sind klein genug um es zu greifen. Ein erleichterter Seufzer und ehrliche Dankbarkeit bei dem Mann, der glücklich zum Zug rennt. 

In Riomaggiore mache ich mich an den Aufstieg zum Höhenwanderweg nach Portovenere. Es ist still und einsam. Was hier wohl in der Hauptsaison los ist… Der Weg ist traumhaft und über eine Stunde geht es nur steil bergauf.

Belohnt werde ich mit einem Ausblick bei blauem Himmel über die ganze Küste der CinqueTerre. 
Der perfekte Ort für eine Pause. 
Während ich meinen Apfel esse und aufs glitzernde Meer schaue, bemerke ich Bewegungen in den Wellen. Unter mir schwimmen etliche Delfine. Ich bin sprachlos und fasziniert.




Nach 40 Minuten ziehe ich weiter. Außer den zwei Bauarbeitern, die Schilder austauschen, treffe ich niemanden. Ich komme an einem Weingut vorbei - auf einem Schild steht: „Breathe in, Breathe out”. Ich bleibe stehen, schließe die Augen und atme. Wohl eine Sekunde zu lange denn am Zaun tauchen drei riesige Hunde auf, die mich wütend anbellen. Ich lache. Ob das wohl die Idee der Person war, die das Schild aufgestellt hat? 

Gegen Mittag erreiche ich Campiglia, ein kleines Bergdorf. Der örtliche Supermarkt ist auch Café, Restaurant, Poststelle und Treffpunkt für die Einheimischen. Ich bestelle die Lasagne (die die zwei Bauarbeiter vor mir auch bestellt haben) und Weißwein (statt Bier ;-)) und setze mich auf die Terrasse. Die Männer schütteln ungläubig den Kopf und ziehen demonstrativ ihre Jackenreißverschlüsse zu als sie sehen, dass ich in kurzen Hosen unterwegs bin. Wir lachen gemeinsam und wünschen uns einen guten Appetit. 


Ich genieße die Aussicht und hole mir noch einen Cappuccino beim Ladenbesitzer. Während er mit der Kaffeemaschine hantiert, frage ich nach dem Ort. Ich erfahre, dass das Dorf heute nur noch 18 Einwohner hat. 1960 waren es noch über 500. Dann haben die Fabriken in La Spezia geöffnet und die Dorfbewohner sind vom Weinanbau auf dem Dorf zu verlässlicheren Jobs in die Stadt gezogen. Kurze und herzliche Begegnung. Satt und glücklich setze ich meinen Weg fort. 
Steilküste, glitzerndes Meer, erschrockene Echsen, viele Gerüche. Ich halte oft inne, schließe die Augen und genieße. Das Ziel, eine Felsspitze, kann ich schon in der Ferne sehen. 

Einige Kilometer später komme ich auf eine Strasse und bin irritiert. Ein Foodtruck mitten im Nirgendwo und ca. 20 Menschen bei Kaffee und Aperol. Ich grüße und gehe weiter. Nach einigen Minuten rennt ein Mann freudestrahlend an mir vorbei und kommt ein paar Meter später bei seinem Auto zum Stehen. Ich bin beeindruckt und frage ob er oben vom Berg kommt. Ja, er läuft häufiger mal die schwierigen Strecken. Ähm… ja, ne ist klar. Ich sage, dass er verrückt ist, er lacht, ich lache, ich wünsche ihm einen schönen Tag und gehe weiter. 

Später merke ich, dass mich der Foodtruck und der Läufer so irritiert haben, dass ich falsch abgebogen bin.
Google sagt, dass ich nur umdrehen kann um mein eigentliches Ziel zu erreichen. Ich weigere mich und gehe weiter bergab. 30 Minuten später erreiche ich eine Straße, sehe einen Bus halten, renne los und springe rein. Eine Frau erklärt mir, dass ich Fahrkarten vorher kaufen muss und ich besser an der nächsten Station wieder aussteige weil heute viel kontrolliert wird. Gesagt, getan. Da stehe ich dann. In der Mitte vom nirgendwo an einer viel befahrenen Straße. Es gibt keinen Fußweg und keine alternative Straße in den nächsten Ort. Auf dieser Strasse kann man nicht zu Fuß laufen (wenn man noch etwas länger leben möchte). Es geht nicht vor und nicht zurück. Kurzes Innehalten, überlegen, abwägen. Dann halte ich den Daumen raus. Das erste Auto rast an mir vorbei… tiefergelegter Mercedes. „Ne, mit dir wäre ich auch nicht mitgefahren. Wäre ja so lebensgefährlich wie auf dieser Straße spazieren gehen!“, denk ich mir und wünsche mir beim Universum eine schöne Begegnung. 

Das zweite Auto… Daumen raus, das Auto wird langsamer und hält. Barbara eine herzliche Italienerin nimmt mich gerne mit. Sie spricht kein Wort Englisch und ist sehr besorgt, über meine kurze Hose. Ich versichere ihr, dass mir nicht kalt ist und wir machen bisschen Smalltalk mit Händen und einem wilden Sprachwirrwarr. Es ist ihr ein Anliegen mich bis vor die Tür zu fahren. 20 Minuten später bin ich dankbar und glücklich Zuhause und umarme sie zum Abschied.

Merke: Falsche Abzweigungen sind manchmal der komfortable Weg nach Hause. :-) 

Und jetzt auf zum Abendessen…mal sehen was/wer mir heute noch begegnet. 

Sonntag, 13. November 2022

Ah… Italien! Da darf ich Kuchen frühstücken!

Ich bin Italien-schock-verliebt.

In Verona hatte ich nur 15 Stunden. Die reichten aber definitiv aus, um mich in diese Stadt zu verlieben (in der es überall nach Carbonara riecht). Ich habe mich durch die romantische Altstadt treiben lassen, bin zur Festung hochgekraxelt, hab wunderbar Pasta gegessen und in einem süßen Hotel geschlafen wie ein Baby.

Morgens am Frühstücksbuffet: eine große Kuchenauswahl!

„Nicht gut für die Gesundheit“, sagt meine TCM-Ärztin still in meinem Gewissen - „wundervoll“, antwortet meine Seele jauchzend. 3 Stück Kuchen und einen perfekten Cappuccino später, schnappe ich mir meinen Rucksack und stelle fest, dass ich spät dran bin. Im lächelnden Eilschritt bei herrlichem Sonnenschein geht es wieder zum Bahnhof. Verona, wir werden uns definitiv Wiedersehen! 


Italien zieht am Zugfenster vorbei und ich schreibe Tagebuch, ordne Gedanken und frage mich ob ich diese Reise gerne mit jemanden geteilt hätte… Umsteigen in Florenz. Schon wieder riecht es nach Carbonara und ein bisschen auch nach Meer. Der Regionalzug bringt mich nach La Spezia. Ich checke in mein schönes Bed & Breakfast ein (freue mich mal wieder über mein unglaubliches Luxusleben) tausche Woll- gegen Wandersocken und fahre mit dem Zug nach Vernazza.

Viele Tunnel und dann ist es plötzlich da: das Meer. Ein kurzer Moment endloses Wasser und der Zug rauscht in den nächsten Tunnel. Ich freue mich wie ein kleines Kind über diesen unerwarteten Blick auf das endlos scheinende Meer. 

In Vernazza geht’s die Klippen hinauf auf den Küstenwanderweg. Immer wieder halte ich an, beobachte das glitzernde Wasser, rieche Salz, warme Steine, Pflanzen, staune über die bunten Farben am Himmel und freue mich meines Lebens. 


Nach 4 km Weg und einigen Höhenmetern mit toller Aussicht, erreiche ich Monterosso. Ich ziehe meine Schuhe aus, genieße das warme Mittelmeer und gönne mir zum feuerroten Sonnenuntergang Weißwein und Focaccia. 


Zug zurück nach La Spezia, duschen und ab ins Bett. Morgen wandere ich von Riomaggiore nach Portovenere… Luxusleben im wunderschönen Italien  🇮🇹😌


Sekt? Ich nehme auch einen

Buongiorno aus Verona.

Gestern ging es wieder los. Ich mache einen kurzen Trip mit dem Zug nach Italien. Berlin-München-Verona-La Spezia-Rom, mit dem Nachtzug von Rom nach München und dann zurück nach Berlin.

Grund für die Reise ist eine Einladung nach Rom. Fee, eine ehemalige Schwimmerin, die ich 7 Jahre als Trainerin begleiten durfte, studiert dort als Erasmus-Studentin. Was für ein schöner Grund um mal wieder meinen Rucksack zu packen, in den Zug zu hüpfen und Italien zu entdecken. 

6:30 Uhr am Berliner Hauptbahnhof. Es geht mit dem ICE auf meine Lieblingsstrecke nach München. Ich bin die Einzige die um diese Uhrzeit wie ein Honigkuchenpferd grinst und ein kleines Tänzchen auf dem Bahnsteig vollführt. Mein Herz schlägt höher, ich fühle mich frei und lebendig. 

Umstieg in München: ich laufe am Zug nach Budapest vorbei und sage lachend zu mir selbst: „Ja, mit Dir fahre ich auch irgendwann! Jetzt muss ich erstmal nach Italien. Danke für die Inspiration und bis bald. Deine Zeit wird kommen!“. 

Im EuroCity nach Verona dauerte es dann keine 20 Minuten bis mir mein Mitfahrer einen Sekt reicht. Ich nehme ihn lachend und wir stoßen auf eine gute Reise an. Er ist als einziger Mann mit 5 Frauen unterwegs… wie es dazu kam, konnte ich nicht rausbekommen. :-) Er bevorzugt jedoch ein eigenes Abteil und während wir über den Flur gemeinsam den Gesprächen über Waschmaschinenprogramme und Kochrezepte lauschen sagt er nur achselzuckend: „Nicht so meine Themen.“ Ja, verstehe ich gut.


In Innsbruck steigt ein Mann dazu und mir wird bewusst, wie eng und anstrengend das Leben sein kann. Er hat ganz offensichtlich einen Zwang und kann nichts „Fremdes“ einfach berühren. Er öffnet die Abteiltür mit einer Plastiktüte, klemmt ein Taschentuch zwischen den Gardrobenhaken und seine Jacke, legt eine Zeitung auf den Sitz, desinfiziert alle 5 Minuten seine Hände und bewegt sich über  4 Stunden kaum um nichts zu berühren. Als sein Gepäck von anderen Gepäckstücken berührt wird, klemmt er eine Plastiktüte dazwischen. Maske trägt er als einziger im Abteil nicht. Uh… da macht schon Zuschauen keine Freunde und Reisen in seiner Welt muss eine echte Herausforderung sein. 

Die Fahrt mit dem Zug über den Brenner ist für mich  immer beeindruckend. Ich staune, schlafe ein, staune weiter… höre „Wings“ von Mara, schreibe meine Gedanken auf und bin demütig und dankbar.

Verona kann kommen…