Heute regnet es, aus Eimern, den ganzen Tag.
Morgens im Flur des Bed & Breakfast treffe ich Rossella meine Gastgeberin. Sie ist mir auf Anhieb sympathisch und obwohl sie kein Englisch oder Deutsch spricht, haben wir eine wunderbare Unterhaltung (mit Händen, Gesichtsausdrücken und Google-Übersetzer).
Sie erzählt, dass sie ursprünglich aus dem Süden Italiens kommt und ich das ja schon gemerkt haben sollte. Ich gucke wohl verwirrt. Sie lacht und sagt: „Hier im Norden sind die Leute immer ernst und niemand lächelt ohne Grund.“
Stimmt, hab ich auch schon bemerkt. Immer wenn ich Menschen auf der Straße anlächel, gucken sie irritiert weg, schauen dann schüchtern nochmal rüber und trauen sich erst dann zu lächeln. Rossella zeigt mir Fotos von ihren 3 Katzen und ihrem Mann.
Nach einer Weile sage ich (und zeige pantomimisch), dass ich jetzt mal zur Bäckerei zum Frühstück rüber schwimme. „Nimm einen Schirm mit“, sagt sie. Ich schüttle den Kopf und tippe ihn ihren Google-Übersetzer: „Mit Regenschirm kann ich nicht schwimmen.“ Wir lachen herzhaft und ich gehe los.
Wow, was für eine lebensfrohe und energiegeladene Frau.
Am Zebrastreifen brettert ein Auto direkt vor mir vorbei. Aus der Pfütze spritzt im hohen Bogen Wasser und meine Strumpfhose ist klitschnass. Eine Frau neben mir regt sich wortgewaltig auf. Ich zucke mit den Schultern und setze meinen Weg mit Vorfreude auf ein Schokocroissant unbeirrt fort.
Beim Bäcker sitze ich auf meinem Beobachtungsposten und trinke Cappuccino. Heute bin ich später dran. Es ist schon die Kaffeezeit der Renter und die Atmosphäre ist ganz anders als gestern. Liegt vielleicht auch am Wetter. Jeder der reinkommt, scheint sich bei der Bedingung über den sinnflutartigen Regen auszulassen. Ich genieße den Singsang der Sprache und stelle fest, dass hier niemand „Kaffee to go“ bestellt. Wer es eilig hat, trinkt seinen Espresso direkt an der Theke. Alle anderen setzen sich und genießen. Kaffee aus Plastikbechern wäre auch eine Beleidigung dieses perfekten Cappuccinos.
Nach einer knappen Stunde gehe ich zurück. Mir ist kalt und ich packe mich für ein zweites Schläfchen mit meiner Wärmflasche (übrigens ein Must-have auf Reisen) ins Bett. Ich lese, schreibe, döse, schaue in den Regen und schlafe immer mal wieder ein. So ein Tag im Bett kommt mir nach der Wanderung gestern ganz gelegen.
Abends treibt mich dann der Hunger wieder aus dem Haus. Wenn meine innere Uhr sagt, dass es Abendessenszeit ist, ist bei den Italienern erst Zeit für einen späten Kaffee oder gerade so schon Zeit für einen Aperitif. Aber auf gar keinen Fall schon richtig essen. Fast alle Restaurants haben um 18 Uhr noch geschlossen.
Aperitif? Ja, nehme ich. Was für eine wunderbare Erfindung. Passend zum Getränk werden Snacks gereicht (Pizzastückchen, Chips, Oliven, Erdnüsse, usw.). Damit lasse ich es mir gut gehen und bestelle fröhlich eine zweite Runde.
Ich komme mit einem älteren Paar aus London ins Gespräch. „Wir sind seid 20 Jahren zweimal im Jahr hier“, sagen sie. „Oh, sie müssen diese Gegend wirklich lieben“, erwidere ich.
„Naja, uns führt mehr eine Verpflichtung hier her. Wir haben an der CinqueTerre ein Ferienhaus und müssen das jetzt winterfest machen. Im März kommen wir dann wieder um es für die Saison vorzubereiten. Das ist wirklich viel Arbeit.“
Ich nicke und versuche für mich zu spüren ob ich gerade neidisch oder mitfühlend bin.
Wir sprechen über den Brexit und ich erzähle, dass ich an dem Tag des Referendumsergebnis geweint habe. Das scheint sie zu irritieren. Im weiteren Gespräch wird nicht klar, ob sie für oder gegen den Verbleib in der EU gestimmt haben.
Wir sprechen über die anstehenden Reisepläne und ich erzähle, dass ich morgen nach Rom weiterfahre und eine Freundin besuche. „Ach nach Rom würden wir auch gerne mal wieder. Da ist es so lebendig. Leider müssen wir Mittwoch nach Süditalien fliegen. Unser zweites Ferienhaus muss ja auch winterfest gemacht werden.“
Wir verabschieden uns, wünschen uns eine gute Zeit und sie ziehen zum Abendessen weiter. Ich bleibe sitzen und spüre nach.
Es ist Mitgefühl was ich spüre, kein Neid. Ich würde nicht mit ihnen tauschen wollen.
Ich zahle am Tresen, schlender klitschnass durch den strömenden Regen, gönne mir zwei Kugeln Eis als Abendessen und bin glücklich.
Ich freue mich auf das lebendige Rom…