Montag, 14. November 2022

Begegnungen und Abkürzungen

Gestern hab ich mich gefragt ob ich eigentlich gerade gerne mit jemanden zusammen hier wäre. Die Antwort war sehr klar: Nein. Ich bin gerade sehr glücklich über das „Alleinsein".

Zeit mit vertrauten Menschen gibt mir viel Energie und Freude. Warum ich trotzdem gerne auch alleine unterwegs bin? Weil ich dann viel offener für die Menschen und Begegnungen um mich herum bin und es so viel zu entdecken und erleben gibt. 

Mein Tag startet mit dem Frühstück um 7 Uhr in einer Bäckerei an der Ecke. Während ich Cappuccino trinke und (natürlich) Kuchen esse, beobachte ich das bunte Treiben. Menschen kommen und gehen… Bauarbeiter, Anzugmenschen, Taxifahrer… 
Es gibt ein lustiges Rumreichen der Tageszeitung. Jemand schnappt sie sich, legt sie vor sich auf den Tisch, holt dann das Handy raus und checkt darauf irgendwas. Die nächste Person fragt nach der Zeitung, bekommt sie, legt sie vor sich auf den Tisch und zückt dann das Handy… Das Spiel wiederholt sich in meiner Anwesenheit ca. fünf Mal. Keiner wirft auch nur einen Blick auf die Zeitung. Hab ich irgendwas nicht gecheckt? Geheime Mafia-Machenschaften? Ich schmunzel vergnügt vor mich hin und bekomme so manches Lächeln zurück. 

Am Bahnhof beobachte ich einen Mann der irgendein Problem am Ticketautomat hat. Ich gehe näher ran und biete meine Hilfe an. Das Ticket klemmt im Ausgabefach und meine Finger sind klein genug um es zu greifen. Ein erleichterter Seufzer und ehrliche Dankbarkeit bei dem Mann, der glücklich zum Zug rennt. 

In Riomaggiore mache ich mich an den Aufstieg zum Höhenwanderweg nach Portovenere. Es ist still und einsam. Was hier wohl in der Hauptsaison los ist… Der Weg ist traumhaft und über eine Stunde geht es nur steil bergauf.

Belohnt werde ich mit einem Ausblick bei blauem Himmel über die ganze Küste der CinqueTerre. 
Der perfekte Ort für eine Pause. 
Während ich meinen Apfel esse und aufs glitzernde Meer schaue, bemerke ich Bewegungen in den Wellen. Unter mir schwimmen etliche Delfine. Ich bin sprachlos und fasziniert.




Nach 40 Minuten ziehe ich weiter. Außer den zwei Bauarbeitern, die Schilder austauschen, treffe ich niemanden. Ich komme an einem Weingut vorbei - auf einem Schild steht: „Breathe in, Breathe out”. Ich bleibe stehen, schließe die Augen und atme. Wohl eine Sekunde zu lange denn am Zaun tauchen drei riesige Hunde auf, die mich wütend anbellen. Ich lache. Ob das wohl die Idee der Person war, die das Schild aufgestellt hat? 

Gegen Mittag erreiche ich Campiglia, ein kleines Bergdorf. Der örtliche Supermarkt ist auch Café, Restaurant, Poststelle und Treffpunkt für die Einheimischen. Ich bestelle die Lasagne (die die zwei Bauarbeiter vor mir auch bestellt haben) und Weißwein (statt Bier ;-)) und setze mich auf die Terrasse. Die Männer schütteln ungläubig den Kopf und ziehen demonstrativ ihre Jackenreißverschlüsse zu als sie sehen, dass ich in kurzen Hosen unterwegs bin. Wir lachen gemeinsam und wünschen uns einen guten Appetit. 


Ich genieße die Aussicht und hole mir noch einen Cappuccino beim Ladenbesitzer. Während er mit der Kaffeemaschine hantiert, frage ich nach dem Ort. Ich erfahre, dass das Dorf heute nur noch 18 Einwohner hat. 1960 waren es noch über 500. Dann haben die Fabriken in La Spezia geöffnet und die Dorfbewohner sind vom Weinanbau auf dem Dorf zu verlässlicheren Jobs in die Stadt gezogen. Kurze und herzliche Begegnung. Satt und glücklich setze ich meinen Weg fort. 
Steilküste, glitzerndes Meer, erschrockene Echsen, viele Gerüche. Ich halte oft inne, schließe die Augen und genieße. Das Ziel, eine Felsspitze, kann ich schon in der Ferne sehen. 

Einige Kilometer später komme ich auf eine Strasse und bin irritiert. Ein Foodtruck mitten im Nirgendwo und ca. 20 Menschen bei Kaffee und Aperol. Ich grüße und gehe weiter. Nach einigen Minuten rennt ein Mann freudestrahlend an mir vorbei und kommt ein paar Meter später bei seinem Auto zum Stehen. Ich bin beeindruckt und frage ob er oben vom Berg kommt. Ja, er läuft häufiger mal die schwierigen Strecken. Ähm… ja, ne ist klar. Ich sage, dass er verrückt ist, er lacht, ich lache, ich wünsche ihm einen schönen Tag und gehe weiter. 

Später merke ich, dass mich der Foodtruck und der Läufer so irritiert haben, dass ich falsch abgebogen bin.
Google sagt, dass ich nur umdrehen kann um mein eigentliches Ziel zu erreichen. Ich weigere mich und gehe weiter bergab. 30 Minuten später erreiche ich eine Straße, sehe einen Bus halten, renne los und springe rein. Eine Frau erklärt mir, dass ich Fahrkarten vorher kaufen muss und ich besser an der nächsten Station wieder aussteige weil heute viel kontrolliert wird. Gesagt, getan. Da stehe ich dann. In der Mitte vom nirgendwo an einer viel befahrenen Straße. Es gibt keinen Fußweg und keine alternative Straße in den nächsten Ort. Auf dieser Strasse kann man nicht zu Fuß laufen (wenn man noch etwas länger leben möchte). Es geht nicht vor und nicht zurück. Kurzes Innehalten, überlegen, abwägen. Dann halte ich den Daumen raus. Das erste Auto rast an mir vorbei… tiefergelegter Mercedes. „Ne, mit dir wäre ich auch nicht mitgefahren. Wäre ja so lebensgefährlich wie auf dieser Straße spazieren gehen!“, denk ich mir und wünsche mir beim Universum eine schöne Begegnung. 

Das zweite Auto… Daumen raus, das Auto wird langsamer und hält. Barbara eine herzliche Italienerin nimmt mich gerne mit. Sie spricht kein Wort Englisch und ist sehr besorgt, über meine kurze Hose. Ich versichere ihr, dass mir nicht kalt ist und wir machen bisschen Smalltalk mit Händen und einem wilden Sprachwirrwarr. Es ist ihr ein Anliegen mich bis vor die Tür zu fahren. 20 Minuten später bin ich dankbar und glücklich Zuhause und umarme sie zum Abschied.

Merke: Falsche Abzweigungen sind manchmal der komfortable Weg nach Hause. :-) 

Und jetzt auf zum Abendessen…mal sehen was/wer mir heute noch begegnet. 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen